Skip to main content

Kurzdarmsyndrom: Wie Gen- und Zelltherapie helfen?

Erwachsene und Kinder mit Kurzdarmsyndrom (engl. Short Bowel Syndrome, SBS) sind nicht in der Lage, genügend Wasser und Nährstoffe aufzunehmen. Die betroffenen Personen haben oft einen nicht-funktionalen oder atypisch kurzen Dünndarm. SBS kann schwerwiegende Folgen haben und erfordert manchmal die direkte Zufuhr von Nährstoffen und Wasser in den Blutkreislauf, um Mangelernährung und Dehydrierung zu vermeiden. Dank zahlreicher medizinischer Fortschritte hat sich die Überlebenschance der SBS-Betroffenen verbessert, aber die Behandlung dieser Krankheit ist nach wie vor sehr schwierig und kostspielig. 

Über SBS

Das Kurzdarmsyndrom (Short Bowel Syndrome, SBS) ist eine Gruppe von Erkrankungen, die darauf zurückzuführen sind, dass der Dünndarm nicht genügend Wasser, Nährstoffe und Mineralien aufnehmen kann, um die normale Gesundheit und das Wachstum des Menschen zu erhalten. Das SBS ist häufig darauf zurückzuführen, dass der Dünndarm nur halb so lang wie (oder kürzer als) ein normaler Dünndarm ist. SBS kann durch körperliche Untersuchungen, Bluttests, Röntgenaufnahmen und Stuhlfetttests (ein Test, der anzeigt, ob der Körper in der Lage ist, Fette zu verdauen und zu absorbieren) diagnostiziert werden. 

Der Dünndarm 

Der Dünndarm ist wichtig für die Aufnahme der meisten Nährstoffe und Wasser, aber im Darm passiert sehr viel mehr, ohne dass die Menschen das realisieren. Unser Darm ist Teil einer symbiotischen Beziehung, die eine ideale Wachstumskammer für Bakterien darstellt, die dort leben. Die Bakterien finden dort Nahrung, eine geschützte Umgebung und eine ideale Temperatur für ihr Wachstum. Im Gegenzug helfen diese Bakterien, die Nahrung in Moleküle aufzuspalten, die unser Darm aufnehmen kann oder die die Darmschleimhaut gesund halten.

Der Dünndarm hat viele komplexe Komponenten, die es ihm ermöglichen, Nahrung und Abfall zu transportieren und Nährstoffe zu sammeln, ein Nervensystem, Muskeln, ein komplexes Gefäßnetz (Blutgefäßsystem), viele Arten von spezialisierten Zellen und, vielleicht am wichtigsten, Stammzellen. Diese ‚Gewebestammzellen‘ sind entscheidend für die Aufrechterhaltung und Reparatur des Darms und bilden ständig neue Zellen. Dies ist besonders wichtig für die innere Auskleidung des Dünndarms (das Epithel), das viele Spalten und Ausstülpungen hat, die Krypten und Zotten genannt werden. Die Zotten erstrecken sich bis in die Mitte des Darms und erhöhen die Geschwindigkeit und Fähigkeit der Nährstoffaufnahme erheblich. Allerdings sind die Zellen, aus denen die Zotten bestehen, sehr rauen Bedingungen ausgesetzt, sodass sie nicht sehr lange leben und ständig ersetzt werden müssen. 

Stammzellen, die in den Krypten (Spalten) verbleiben, müssen alle drei bis fünf Tage ALLE Zottenzellen im Dünndarm ersetzen! Diese und andere Stammzellen tragen auch dazu bei, kleinere bis mittlere Schäden im Darm zu reparieren. Wenn jedoch größere Schäden auftreten, sind die Stammzellen möglicherweise nicht in der Lage, alles zu reparieren. Dies kann zu einem Darmversagen führen, was ein sehr ernstes Gesundheitsproblem darstellt und lebensbedrohlich sein kann. Um Leben zu retten, können Ärzte bei einzelnen Menschen Bereiche des versagenden oder abgestorbenen Darms entfernen. Wenn diese Bereiche groß sind, kann dies zu einem Kurzdarmsyndrom führen. 

Die Suche nach Stammzellen  

Stammzellen sind einzigartig in ihrer Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und Zellen zu bilden, die sich spezialisieren können. Allerdings sehen Stammzellen nicht immer einzigartig aus. Unter dem Mikroskop können sie die gleiche Größe und Form haben wie andere Zellen um sie herum. Woher wissen Forscher also, welche Zellen welche sind? 

Die Forscher lösen dieses Rätsel, indem sie Gene identifizieren, die speziell in Stammzellen, nicht aber in anderen Zellen aktiviert sind. Diese Gene kodieren für Proteine, die notwendig sind, damit sich die Zellen wie die spezifischen Stammzellen verhalten, die die Forscher untersuchen wollen. Da diese Proteine einzigartig für die Zellen sind, nennen die Forscher sie „molekulare Marker“. Einige Forscher wie Kim Jensen von der Universität von Kopenhagen widmen ihre Labors der Untersuchung von und der Suche nach molekularen Markern von Zellen und Stammzellen. Was den Dünndarm betrifft, so war ein wichtiger Fortschritt die Identifizierung des Proteins „Lgr5“ durch die Forschungsgruppe von Hans Clevers am Hubrecht Institut in Utrecht als einzigartiger molekularer Marker für die Untergruppe der Stammzellen, die für die Herstellung des Darmepithels (die innerste Zellschicht) verantwortlich sind. 

Verschiedene Typen des SBS 

Das SBS wird häufig im Zusammenhang mit Kleinkindern und Erwachsenen diskutiert. Die meisten SBS-Fälle bei Erwachsenen und Kleinkindern treten auf, nachdem geschädigte Abschnitte des Dünndarms operativ entfernt wurden. 

Bei Erwachsenen kann ein SBS auftreten, wenn ein anderes medizinisches Problem die Entfernung der Hälfte oder mehr des Dünndarms erfordert. Zu den medizinischen Problemen, die eine Entfernung von Teilen des Darms erforderlich machen können, gehören beispielsweise schwere Fälle von Morbus Crohn, Blutgerinnsel, das Absterben von Neuronen, die den Darm steuern, körperliche Schäden (wie eine schwere Wunde im Bauchraum) oder, sehr selten, Darmkrebs.

Bei Kleinkindern können Entwicklungsprobleme dazu führen, dass Teile des Dünndarms schwer geschädigt werden oder absterben. Ein spezifisches Beispiel hierfür ist die nekrotisierende Enterokolitis, ein infektiöser/entzündlicher Prozess, der dazu führt, dass Teile des Darms eines Kleinkinds (einschließlich der Darmschleimhaut, der Muskeln und der Nerven) absterben und der Darm dadurch funktionsunfähig wird. Die chirurgische Entfernung dieser Bereiche kann den Dünndarm stark verkürzen und zu SBS führen. Alternativ dazu werden einige an SBS leidende Kleinkinder ohne große Teile des Dünndarms geboren, was jedoch seltener vorkommt. 

Gegenwärtige Behandlung des SBS

Die meisten Behandlungen des SBS (sowohl bei Kleinkindern als auch bei Erwachsenen) beginnen mit der direkten Zufuhr von Nährstoffen und Wasser in den Blutkreislauf (parenterale Ernährung). Dies gibt dem Darm Zeit, sich von den chirurgischen Eingriffen zu erholen und sich an die kürzere Länge anzupassen. Aber selbst wenn sich der Darm anpassen kann und die parenterale Ernährung eingestellt wird, sind spezielle Diäten und Nahrungsergänzungsmittel für den Einzelnen oft eine ständige Notwendigkeit. 

Die Behandlung kann den Einsatz von Medikamenten (z. B. Antidiarrhoika) umfassen, um den Verdauungsprozess zu verlangsamen und mehr Zeit für die Nährstoffaufnahme zu gewinnen. Häufig werden auch Hormone verschrieben, um das Wachstum und die Anpassung der Darmzellen zu fördern. In schweren Fällen wird eine Dünndarmtransplantation durchgeführt. Transplantationen sind eine Herausforderung, da der Darm normalerweise Bakterien enthält, die zu Infektionen führen können. Außerdem gibt es nur wenige Darmspender. Es ist wichtig zu wissen, dass es verschiedene Abschnitte des Dünndarms gibt, die jeweils eine unterschiedliche Bedeutung haben. Oft werden Transplantationen nur durchgeführt, wenn kritische Abschnitte des Dünndarms entfernt wurden und ersetzt werden müssen.

Aktuelle Forschung und klinische Studien

Von Medikamenten über chirurgische Methoden und Stammzellen bis hin zur Züchtung synthetischer Därme im Labor werden alle Aspekte und Methoden zur Behandlung des SBS untersucht. Viele Forscher*innen wie Dr. Simon Eaton, der sich am University College London (UCL) mit der Biochemie und dem Stoffwechsel des Darms befasst, erforschen die Veränderung der Zellen im Darm aufgrund von Krankheiten und chirurgischen Behandlungen, was der erste wichtige Schritt zur Behandlung von Krankheiten und Komplikationen wie SBS ist. Einige Forschungsarbeiten zielen darauf ab, das SBS zu verhindern, indem Behandlungen (einschließlich Stammzelltherapien) für Darmerkrankungen erforscht werden, bevor die Entfernung von Darmabschnitten erforderlich ist. 

Die Kliniker untersuchen auch, welche chirurgischen Strategien eingesetzt werden können, um die Auswirkungen der Entfernung von Dünndarmabschnitten zu minimieren. Es werden chirurgische Methoden zur Behandlung des SBS erforscht, beispielsweise das Einsetzen von Ventilen in den Dünndarm, um die Nahrungspassage zu verlangsamen. Zu den Behandlungsmethoden für SBS gehört auch die Erforschung von Medikamenten und Hormonen wie Teduglutid, die die Darmzellen dazu anregen, mehr Wasser und Nährstoffe aufzunehmen.

Einige Forschungsgruppen befassen sich mit dem Bioengineering des Dünndarms, d. h. mit dem künstlichen Aufbau oder der Züchtung von Dünndarmsegmenten für die Transplantation. Ein Beispiel für Gruppen, die sich mit dem Bioengineering von Dünndarmsegmenten beschäftigen, ist das gemeinsame Forschungsprogramm Intestinal Tissue ENgineering Solution (INTENS)  (mehr dazu weiter unten). Allerdings sind fortschrittliche Technologien wie diese noch viele Jahre davon entfernt, für die Behandlung eingesetzt zu werden. Es dauert Jahre, bis aus Forschungsergebnissen medizinische Behandlungen werden, klinische Studien bestehen und als sicher und wirksam für den Einsatz in Kliniken zugelassen werden. 

Wenn Sie sich über die neuesten Entwicklungen bei der Behandlung des SBS informieren möchten, finden Sie auf clinicaltrials.gov viele der neuesten Behandlungen, die in klinischen Studien untersucht werden. Bitte beachten Sie, dass die Auflistung einer Studie in einer Datenbank keine Garantie dafür ist, dass sie ein Zulassungsverfahren durchlaufen hat. Bitte lesen Sie alle Haftungsausschlüsse, sprechen Sie mit vertrauenswürdigen Gesundheitsdienstleistern und informieren Sie sich über die Risiken und den möglichen Nutzen.

 

Wie können Stammzellen helfen?

Viele der Forschungsbereiche, die sich mit der Behandlung des SBS befassen, sind aktiv an Stammzellen interessiert. Stammzellen bieten die Möglichkeit, Teile des Dünndarms zu reparieren, zu heilen und nachwachsen zu lassen. Ihr Einsatz erfordert jedoch jahrelange Forschung, um die Grundlagen der Funktionsweise von Stammzellen zu verstehen und um herauszufinden, wie sie bei der Behandlung von Krankheiten helfen könnten. Hier sind nur einige Beispiele für die Verwendung von Stammzellen. 

Ein Bereich der Stammzellenforschung befasst sich mit der Behandlung medizinischer Probleme des Dünndarms, bevor ein chirurgischer Eingriff zur Entfernung beschädigter Teile erforderlich wird. So hat das Labor von Nikhil Thapar am UCL untersucht, wie sich mithilfe von Stammzellen Teile des Darmnervensystems wiederherstellen lassen. Damit könnten Personen behandelt werden, die an einer „enterischen Neuropathie“ (Versagen des Darmnervensystems, manchmal auch „Pseudoobstruktion des Darms“ genannt) leiden. Behandlungen, die das Nervensystem des Darms wiederherstellen, würden wesentlich dazu beitragen, Operationen zu vermeiden, die zu SBS führen. 

Die Forscher *innen verwenden auch Stammzellen und Patientengewebe, um Dünndarm-Organoide (d. h. organähnliche Gebilde) zu züchten. Diese winzigen Zellgruppen ordnen sich zu einer Schicht von Zellen mit Falten an, die die Struktur und Funktion der inneren Auskleidung des Dünndarms (des Epithels) nachahmen. Organoide könnten ein kostengünstigerer und schnellerer Weg sein, um zu untersuchen, wie der Darm funktioniert, wächst, sich von Schäden heilt und Zellen ersetzt. Sie könnten auch nützlich sein, um Krankheiten, Medikamente und neue medizinische Behandlungen im Labor zu untersuchen, bevor Studien an Tieren oder Menschen durchgeführt werden. In einer Schlüsselstudie im Rahmen des INTENS-Projekts wurden Tissue Engineering und die Fähigkeit von Zellen zur Selbstorganisation kombiniert, um Mini-Darmröhren zu bilden, die wichtige Merkmale des Darms beibehalten, darunter spezialisierte Zelltypen und die Fähigkeit zur Regeneration. Dies zeigt eine Möglichkeit auf, Stammzellen zur Bildung von Organoiden zu führen, die der Physiologie des echten Gewebes besser entsprechen. Solche Fortschritte in der Organoid-Technologie ermöglichen die nächsten Forschungsschritte, die notwendig sind, bevor eine sichere und wirksame Behandlung zur Verfügung gestellt werden kann.

In Fällen, in denen Operationen zur Entfernung des Dünndarms unvermeidlich sind, können Stammzelltransplantationen dazu beitragen, den Darm nach der Operation zu reparieren und einige der verlorenen Zellen und Teile des verlorenen Gewebes nachwachsen zu lassen. Alternativ dazu untersuchen Forscher im Rahmen des internationalen Gemeinschaftsprojekts INTENS, wie Stammzellen verwendet werden können, um neue Darmabschnitte auf biologischen Gerüsten zu züchten, die transplantiert werden können. Dies ist ein ehrgeiziges Projekt, da der Darm aus vielen verschiedenen Zelltypen besteht, die für die Funktion des gesamten Organs verantwortlich sind. Die Forscher machen jedoch Fortschritte, wobei das langfristige Ziel darin besteht, einen funktionsfähigen Dünndarm zu schaffen.

Eines der komplexen Probleme beim Aufbau von Darmgewebe im Labor besteht darin, dass die Stammzellen die richtige Form des Darms bilden. Forschungen im Labor von Paolo de Coppi am UCL haben gezeigt, dass Proteingerüste aus Spendergewebe, dem alle ursprünglichen Zellen entnommen wurden, eine gute Ausgangsstruktur für Stammzellen bieten, an der sie haften und wachsen können. Parallel dazu haben Forscher*innen im Labor von Vivian Li am Francis Crick Institute mithilfe von Gerüsten und Darmstammzellen Transplantate der Dünndarmschleimhaut hergestellt. Durch den Vergleich von Gerüsten fanden die Forscher*innen heraus, dass Dünn- und Dickdarm austauschbar sind, um transplantierbare Transplantate zu rekonstruieren. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass Dickdarmgewebe für Kinder, die ihren gesamten Dünndarm verloren haben, verwendet werden könnte. 

Andere Aspekte des Bioengineering neuer Därme, wie beispielsweise die Herstellung der Darmmuskulatur und des Nervensystems, befinden sich noch in der Entwicklung und könnten viele Jahre in Anspruch nehmen, bis sichere und zuverlässige Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen. Aber letztendlich könnten die Ergebnisse die Arbeit wert sein. Die Verwendung eigener Stammzellen für die Züchtung eines biotechnologisch hergestellten Darms würde das Risiko einer Transplantatabstoßung erheblich verringern und die Suche nach kompatiblen Spendern ersparen.

Danksagungen und quellen:

Dieses Factsheet wurde von Ryan Lewis im Juni 2017 erstellt und von Nikhil Thapar, University College London, überprüft. 

Aktualisiert im Jahr 2021 von Lucinda Tullie, Francis Crick Institute, und Amanda Waite. Überprüft von Vivian Li, Francis Crick Institute, und Brendan Jones, University College London. 

Übersetzung von German Stem Cell Network.

 

War der Inhalt dieser Seite nützlich? Teilen Sie Ihre Gedanken und Eindrücke mit uns.